Rückblick
Beim Neujahrskonzert am 19. Januar im Literaturhaus spielte Corona in Deutschland noch keine Rolle. Am Flügel saß Boris Bloch, der für seinen im vergangenen Jahr überraschend verstorbenen Freund und Kollegen Yuri Blinov eingesprungen war. Ursprünglich hätte Yuri Blinov an diesem Abend unter anderem eine eigene Komposition vortragen sollen, für die ihm die Chopin-Gesellschaft den Auftrag erteilt hatte.
Zum Komponieren kam er nicht mehr, und so hörten die Musikfreunde im gut gefüllten Saal stattdessen Werke von Mozart, Bach, Beethoven, Tschaikowski und Chopin, die Boris Bloch inspirierend und wohlverdient mit anhaltendem Applaus bedacht vortrug. Ein neben dem Flügel aufgestelltes Porträt mit Trauerflor erinnerte an den Verstorbenen, der bereits häufiger ein gern gesehener Gast in Darmstadt war.
An diesem Abend gedachte man auch der Ende 2019 verstorbenen Christa Heimerl, die jahrzehntelang im Beirat und Vorstand mitgewirkt hatte. Nach dem Konzert ermöglichte das traditionelle Neujahrsbuffet, zu dem die Chopin-Gesellschaft jedes Jahr großzügig einlädt, einen regen Gedankenaustausch.
Obwohl das Virus bald darauf bereits für Schlagzeilen sorgte, konnte auch das erste Jubiläumskonzert am 29. Februar in der Orangerie ohne Einschränkungen und vor vollbesetzten Reihen über die Bühne gehen. Ivett Gyöngyösi, Claire Huangci, Joanna Marcinkowska und Janne Mertanen, alle erste Preisträger vergangener Darmstädter Chopin-Klavierwettbewerbe, sorgten mit ganz unterschiedlichem Temperament und Spiel für einen faszinierenden Musikgenuss. Chopin-Fans konnten an diesem Abend in den Werken des genialen Komponisten schwelgen, dazu gab’s Stücke von Liszt und Paderewski. Glück gehabt: Es war das letzte Konzert in der Orangerie vor dem Frühjahrslockdown.
Bald darauf kam das Veranstaltungsverbot und damit die bange Frage: Wie wird es weitergehen? War das zweite Jubiläumskonzert in Gefahr? Das hätte den Vorstand schwer getroffen, denn das Vorhaben, alle sechs Werke für Klavier und Orchester, die Chopin geschrieben hat, an einem Stück aufzuführen, war uns längst ans Herz gewachsen. Für das ehrgeizige Projekt, das ein exklusives Musikerlebnis versprach, weil einige der Werke nur selten aufgeführt werden, hatte nach längerer Suche die Mainzer Kammerphilharmonie gewonnen werden können.
Der Sommer verging, und tatsächlich sah es zunächst so aus, als würde die Stadt Darmstadt als Vermieterin der Orangerie die Erlaubnis verwehren. Doch schließlich führte die Hartnäckigkeit von Vizepräsidentin Jill Rabenau – sie verfasste Hygienekonzepte, prüfte mit den Hausmeistern die Örtlichkeiten, organisierte einen aufwändigen Ticketverkauf und manches mehr – zum Erfolg: Grünes Licht von der Stadt. Inzwischen hatten allerdings verschiedene Umstände zu einer Änderung des Formats geführt. Die sechs Werke wurden auf zwei Abende verteilt. Am 5. September begleitete die Mainzer Kammerphilharmonie unter dem Dirigat von Catherine Rückwardt – coronabedingt nur mit Streichern – die Pianisten Kevin Kenner, Aleksandra Mikulska und Piotr Pawlak. Am Abend zuvor waren Kevin Kenner, Sabine Simon und Piotr Pawlak mit reinen Klavierfassungen zu hören.
Lange war vorab im Vorstand diskutiert worden, ob dem Publikum „Chopin light“ zuzumuten sei. Lob- und Dankesschreiben („Glückwunsch zum Musikgenuss der Extraklasse“, „Es waren fantastische Abende“) bewiesen letztlich, dass wir es richtig gemacht hatten. Das Ziel, alle sechs Werke zu präsentieren, war erreicht – wenn auch, wiederum wegen der Auflagen, nur etwa 100 statt der möglichen 450 Musikfreunde in den Genuss kamen.
Das Konzert im Doppelpack taugte im darauffolgenden Monat als Blaupause für das dritte Jubiläumskonzert, das am 17. Oktober in der Orangerie gerade noch die Kurve vor dem Novemberlockdown kriegte. Für „Chopins Kammermusik“ brauchte das Hygienekonzept nur aus der Schublade gezogen zu werden, und der Ticketverkauf per E-Mail hatte sich ebenfalls bewährt. Sabine Simon (Klavier), Romain Garioud (Cello) und Kyril Terentiev (Violine) machten im harmonischen Zusammenspiel auch dieses „Raritätenkonzert“ zu einem besonderen Erlebnis im von Corona überschatteten Jubiläumsjahr.
Alles in allem blickt der Vorstand dankbar zurück auf dieses Jahr, das dem Publikum mit und trotz Corona ein würdiges Jubiläumsprogramm bieten konnte. Der Dank gilt allen, die am Gelingen mitgewirkt haben. Besonders gefreut haben wir uns über die Würdigung von Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch, der in seinem Grußwort schrieb: „Die beständigen Aktivitäten und Konzerte der Chopin-Gesellschaft bereichern das kulturelle Leben unserer Stadt auf höchstem Niveau. Wir sind begeistert und froh, eine solche Institution von Weltrang hier in unserer Stadt zu haben.“ Danke, Herr Partsch.
Wer sich für die Geschichte der Chopin-Gesellschaft interessiert, kann sie in der 80 Seiten starken Festschrift nachlesen. Es gibt die Festschrift in deutscher und englischer Sprache, sowohl gedruckt wie als pdf-Dokument im Internet. Gegen eine Spende kann das Druckexemplar bei einem der nächsten Konzerte mitgenommen werden.