Rückblick
Fulminanter Abschluss des Veranstaltungsjahres
Klavierabend mit Guoda Gedvilaite am 5. Dezember 2021 im Literaturhaus
Es gab wohl kaum jemanden im Vortragsraum des Literaturhauses, der von ihrem Auftritt nicht begeistert gewesen wäre. Guoda Gedvilaite, groß, schlank, im modischen Damenfrack, bezauberte ihr Publikum von der ersten bis zur letzten Note. Der Flügel und sie erschienen wie siamesische Zwillinge, untrennbar. Virtuos beherrschte sie das Instrument, rasant glitten ihre Finger über die Tasten, erfrischend klar war ihr Anschlag, der ganze Körper stand unter Strom, und an ihrer ausdrucksstarken Mimik war zu erkennen, wie viel Freude ihr selbst der Vortrag bereitete.
Zum Abschluss des Veranstaltungsjahres der Chopin-Gesellschaft, an dem sie ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum feierte, bestätigte die litauische Pianistin den Ruf, der ihr vorauseilt, dass sie ihre Konzertprogramme immer sorgfältig konzipiert – und dass sie originell sind. Schon der Einstieg mit Beethovens sieben Bagatellen war ein zunächst kecker, später virtuoser Hörgenuss. Es folgten die drei Sätze von Beethovens „Les Adieux“, ein Werk, das man öfter hört und das deshalb angenehm vertraut klang. Ganz im Gegensatz zu den seltener gespielten Kompositionen von Clara Schumann. Guoda Gedvilaite hat die Komponistin und Ehefrau Robert Schumanns, die zu Lebzeiten kaum öffentliche Anerkennung fand, ins Herz geschlossen. In ihrer litauischen Heimat unterhält sie einen Clara-Schumann-Salon. Im Literaturhaus erklang das Impromptu „Souvenir de Vienne“, eine Variation der deutschen Nationalhymne, gefolgt vom Scherzo Op. 14.
Nach der Pause waren drei Valses brillantes von Chopin zu hören, gefolgt von zwei wiederum selten gespielten Werken nur für die linke Hand, das eine von Alexander Skrjabin, das andere von Felix Blumenfeld. Faszinierend, wie eine Hand den Eindruck vermitteln kann, als wären beide Hände im Einsatz. Der linkshändige Parforceritt umfasste die gesamte Klaviatur.
Mit den vertrauten Klängen von Chopins „Polonaise Héroique“ entließ die Musikerin ihr Publikum, das anhaltenden Beifall spendete, wofür sie sich mit zwei Scarlatti-Zugaben bedankte. Man war sich einig: Ein unvergessliches Konzerterlebnis. (ce)
„Musik ist eine Sprache“
2. Musikalischer Stammtisch (virtuell) am 22. November 2021 via Zoom
Der 2. Musikalische Stammtisch bot den Teilnehmenden Gelegenheit, einen bemerkenswert vielseitigen Menschen näher kennenzulernen. Henning Brand (oben links im Bild), Mitglied der Chopin-Gesellschaft und einer der Solisten beim Piano-Festival im Sommer dieses Jahres, erwies sich als kurzweiliger Plauderer, der die Fragen nach seinem Leben und Werdegang bereitwillig beantwortete und auf die Eingangsfrage, was Musik für ihn bedeute, eine klare Antwort hatte: „Musik ist eine Sprache.“
Schon früh kam Henning Brand, Jahrgang 1970 und vom Elternhaus musikalisch beeinflusst, mit Chopin in Berührung, der sein „Hausheiliger“ wurde und dessen 2. Klavierkonzert er sich in jungen Jahren anhand einer Schallplattenaufnahme nach Gehör erarbeitete. Dass er ein Vollblutmusiker ist und ganz in der Musik aufgeht, konnten die Teilnehmenden an seinen versonnenen Bewegungen im Rhythmus der eingespielten Musikstücke wahrnehmen. Henning Brand musiziert (Piano und Schlagzeug), dirigiert, komponiert, arrangiert und produziert, aktuell mit besonderer Neigung zum Theater – unter anderem schrieb er für das Staatstheater Darmstadt die Musik zum Kindermärchen „Mio, mein Mio“.
Er ist aber auch promovierter Psychologe und Gründer eines Unternehmens, das Konzepte und Seminare im Bereich Suchtprävention anbietet. Wie kam es dazu? Henning Brand: „Nach meinem Musikstudium und dem Zivildienst in der Psychiatrie wollte ich der Menschheit etwas Gutes tun.“ Während der Corona-Zwangspause hat sich die Doppelgleisigkeit ausgezahlt, denn das gut laufende Unternehmen sicherte ihm die Existenz. Mehr noch: „Meine unternehmerische Tätigkeit macht mich unabhängig und frei, mich meinen musikalischen Ambitionen ohne finanziellen Druck, Rücksichtnahmen und Zugeständnisse zu widmen.“
Seine Lebensphilosophie, auf seiner Homepage www.henningbrand.de nachzulesen, hat er von seinem Musikerkollegen Frank Zappa übernommen: „A mind is like a parachute – it doesn’t work if it’s not open.“ (Der Geist ist wie ein Fallschirm – er arbeitet nicht, wenn er nicht geöffnet ist.) Offen zu sein für das, was das Leben bietet und flexibel darauf zu reagieren ist ihm wichtig. In diesem Sinne sieht er auch das Lernen als lebenslangen Prozess. Aktuell nimmt er Unterricht in Polnisch („eine schwere Sprache“), um Chopin, dessen Geist er auch auf Reisen nach Polen nachspürt, noch besser zu verstehen. Seine polnische Lehrerin lebt in Paris, Grammatik und Vokabeln werden online ausgetauscht. Schöne neue Internet-Welt, die das – und auch den virtuellen Stammtisch – möglich macht. (ce)
Der nächste Musikalische Stammtisch ist für das Frühjahr 2022 geplant.
Polens Leid im Lied
Gesangsabend zu Kompositionen von Mieczyslaw Weinberg mit Tomasz Raff (Gesang) und Mischa Kozlowski (Klavier) am 20. November 2021 im Literaturhaus
Wenn es sich ergibt, gehen das Deutsche Polen-Institut und die Chopin-Gesellschaft, beide in Darmstadt ansässig und sich nicht nur räumlich nahe, gemeinsame Wege. So geschah es auch an jenem Samstag im November, als es darum ging, dem Komponisten Mieczyslaw Weinberg posthum Ehre zu erweisen. Insbesondere war dem Polen-Institut daran gelegen, die polnischen Wurzeln des in der Musikwissenschaft als sowjetisch geführten Komponisten zu beleuchten. Die Grundlage dazu lieferte ein im vergangenen Jahr von Danuta Gwizdalanka herausgegebenes Büchlein über Weinbergs wechselvolles Leben mit dem bezeichnenden Titel „Der Passagier“.
Zu Beginn des Abends machte ein fein abgestimmter Dialog zwischen dem Leiter des Polen-Instituts Dr. Peter Oliver Löw und der Weinberg-Expertin Verena Mogl, dem sich ein von Empathie getragener Vortrag der Musikwissenschaftlerin anschloss, mit der wechselvollen Vita des Komponisten vertraut.
1919 als Kind jüdischer Eltern in Warschau geboren, erlebte Weinberg die ersten zwanzig Jahre wohl weitgehend unbeschwert. 1939 wendete sich das Blatt, und er geriet in den Fokus wechselnder Verfolgung zunächst durch das Nazi-Regime und nach Kriegsende durch Stalins Truppen. Seine Eltern und seine Schwester überlebten den Holocaust nicht. Weinberg, „der ewige Passagier“ auf wechselvollen Lebenspfaden, habe sich in der Fremde immer nach der Heimat gesehnt und diese wenigstens in der polnischen Sprache gefunden, erzählte Verena Mogl, die eine Dissertation über ihn verfasst hat.
Weinbergs kompositorisches Schaffen wurde lange wenig Beachtung geschenkt, seine Werke landeten oft unveröffentlicht in der Schublade. Dass er vor wenigen Jahren quasi entdeckt wurde, ist der zeitgeistigen Erinnerungskultur zuzuschreiben. Unrühmliche Ereignisse der Vergangenheit werden dem Vergessen entrissen und öffentlich thematisiert. Wie in diesem Fall das Schicksal der polnischen Bevölkerung, die drei politische Teilungen über sich ergehen lassen musste und deren Heimatland zuletzt von der Landkarte verschwand. Unter den fremden Regimen waren sie bestenfalls geduldet.
Trauer über den Verlust der Heimat, Angst vor Verfolgung, erfahrenes Leid, Verzweiflung, Mutlosigkeit, aber auch die Hoffnung, dass sich alles noch einmal zum Guten wendet: Die beiden polnischen Künstler Tomasz Raff und Mischa Kozlowski, der eine mit wohlklingendem Bass und wehklagender Mine, der andere in angepasster Dramatik am Klavier, rollten vor dem halb deutschen, halb polnischen Publikum den Gefühlsteppich der Betroffenheit aus. Die polnisch vorgetragenen, im Programmheft ins Deutsche übersetzten Texte dazu lieferten Leopold Staff „(Triptychon“), Stanislw Wygodzki („Profil“), Elzbieta Szemplinska („Das Andenken“) und Julian Tuwim („O grauer Nebel“), dessen Heimwehzitat in seiner Schlichtheit das Herz besonders berührt:
„Wie stets lockt mich der Regen wieder / Zum Gehen auf … der Avenida? / Nein, hin zur Nawrotstraße, / die hundert Mal begangne Trasse.“
Gleich Weinberg sah sich auch Chopin durch die politischen Umstände seiner Zeit gezwungen, die polnische Heimat gegen seinen Willen zu verlassen. So lag es nahe, dem Namensgeber der Chopin-Gesellschaft ebenfalls einen Auftritt in dem Konzert einzuräumen. Mit kraftvollem Anschlag ließ Mischa Kozlowski Mazurken, Etüden, Préludes und die beliebte Polonaise As-Dur erklingen – ein raumfüllendes Erlebnis.
Wie kam die Weinberg-Reminiszenz beim zahlenmäßig überschaubaren Publikum an? Durchaus verschieden. Während auf deutscher Seite eher das Gefühl von „alles sehr traurig“ vorherrschte, applaudierten die polnischen Gäste begeistert, und Bravorufe waren zu hören. Eine Teilnehmerin polnischer Herkunft, Jahrgang 1956, aufgewachsen im heute weißrussischen Minsk, war eigens für diesen Abend aus ihrem jetzigen Wohnort Göttingen angereist und scheute auch die Kosten für die Hotelübernachtung nicht. Sie kehre erfüllt nach Hause zurück, ließ die Dame wissen. In den Liedern habe sie ihr eigenes Schicksal und das ihrer Eltern wiedererkannt. „Sie haben etwas in mir zum Klingen gebracht.“ (ce)
Sturm der Begeisterung
Soirée mit dem TriOdyssée am 9. November 2021 im Literaturhaus
Kurzfristig konnte die Chopin-Gesellschaft dank der engen und freundschaftlichen Verbindung mit dem Cellisten Romain Garioud das Veranstaltungsprogramm am 7. November durch ein phänomenales Kammerkonzert mit dem Ensemble TriOdyssée ergänzen. Die beiden Streicher Laurent Breuninger (Violine) und Romain Garioud bilden zusammen mit der aus Japan stammenden Pianistin Rinko Hama ein äußerst spielfreudiges Ensemble. Mit Beethovens Klaviertrio „Erzherzog“, Maurice Ravels „Trio pour piano, violon et violoncelle“ und in der Zugabe einem Klaviertrio von Claude Debussy sorgten sie beim Publikum für einen wahren Sturm der Begeisterung. Welch ein Genuss war diese ursprünglich von den Musikern als interne Generalprobe für ein bevorstehendes Konzert gedachte, schließlich auf Vorstandsbeschluss als Soirée kostenfrei angebotene Aufführung! Die Musiker wurden für ihren großartigen – honorarfreien – Auftritt im Literaturhaus mit reichlich Spenden belohnt. (hs)
Porträt einer schwierigen Liebesbeziehung
Musikalisch-literarische Collage mit Vera Botterbusch (Text) und Laura Konjetzky (Klavier) am 6. November 2021 im Literaturhaus
„Lieben oder Sterben“ lautete das zugespitzte Motto des Abends. Die Frage drängte sich auf: Gibt es kein Dazwischen? Kein Leben, das einfach so dahinfließt, Morgen, Mittag, Abend und am nächsten Tag das Gleiche, angefüllt mit Pflichten und Freuden, Chancen und Herausforderungen? Vermutlich wäre ein solcher Abend um einiges weniger spannend gewesen. Nein, der Romanistin und vielseitigen Künstlerin Vera Botterbusch ging es nicht um den Alltag eines der berühmtesten Liebespaare der Welt, Fryderyk Chopin und George Sand. Es ging ihr darum, eine höchst komplizierte, von Schwärmereien, überhöhten Erwartungen, Missverständnissen, Tageslaunen und schwankenden Gemütszuständen geprägte Beziehung zu beleuchten, die zehn Jahre lang zugleich Himmel wie auch teilweise Hölle war. Das ist ihr eindrucksvoll gelungen.
Akribisch hat sie den Briefwechsel der beiden nach interessanten Passagen durchforstet und dabei einen Schatz an literarischen Perlen gehoben. Dass der Winter auf Mallorca 1838/39, auf dem alle Hoffnungen zur Genesung des lungenkranken Komponisten ruhten, zum Fiasko wurde, weil sich das Leben auf der Insel als äußerst schwerfällig entpuppte und die Insulaner den hustenden Fremden mit Anhang schlichtweg aus ihrem Umkreis verbannten, was zum Umzug in die einsame, ungeheizte Kartause von Valdemossa führte, konnte das Publikum fast schon körperlich nacherleben.
Nicht nur dieser Winter hat die Beziehung der beiden auf eine harte Probe gestellt, was in weiteren Episoden zum Ausdruck kam. Zum Bruch führte schließlich ein Streit zwischen George Sand und ihrem Schwiegersohn, in dessen Folge die Frischvermählten des Hauses verwiesen wurden. Dass sich Chopin auf die Seite seiner Stieftochter stellte und sie unterstützte, verzieh ihm George Sand nicht und löste die Verbindung. Es war aber wohl nur der äußere Anlass für das Ende der schon länger zum Scheitern verurteilten Beziehung.
Der Abend entwickelte sich auch zur interessanten Reise zurück in die Zeit der Romantik, als für Liebesschwüre Sonne, Mond und die Natur herangezogen wurden und die Briefschreiber ihre Gefühlsregungen in wunderbar poetische Sätze gossen. Wer würde heute noch so schreiben, wer schreibt überhaupt noch Briefe?
Von Laura Konjetzky musikalisch angereichert durch Préludes, Nocturnes und Walzer aus dem Oeuvre des Komponisten wurde es ein langer, aber nicht zu langer Abend. „Ich möchte den Vortrag nicht missen“, zog ein Teilnehmer nach der Veranstaltung sein persönliches Fazit. Er fühlte sich in jeder Hinsicht bereichert. (ce)
Musikalische Reise in zwei Welten
Klavierkonzert mit Hélène Tysman am 31. Oktober 2021 im Großen Saal des Kreishauses (Darmstadt-Kranichstein)
Man muss Hélène Tysman erlebt haben, wie sie durch den Saal zum Flügel schreitet, der elegante Hosenanzug so schwarz wie die langen Haare, deren Locken sie kaum zu bändigen vermag, abgestimmt dazu Pumps, Halskette und Ohrschmuck so rot wie die Farbe ihrer Lippen, très chic.
Sie setzt sich an den geöffneten Flügel und beginnt, nein, nicht zu spielen, sondern zu sprechen. Ihr Publikum wolle sie auf eine musikalische Reise mitnehmen, kündigt sie an, in gutem Deutsch mit liebenswertem Akzent. Dabei spricht nicht nur ihr Mund, auch die Augen sprechen und die Hände, die sie häufig einsetzt, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
Ihre Reise führt, man höre und staune, zu Bach und Chopin. Was haben der Barockkomponist und der Romantiker gemeinsam? 125 Lebensjahre liegen zwischen ihnen, der eine sachlich akkurat im Stil des höfischen Zeremoniells, der andere emotional bis in die tiefsten Seelenfalten. Doch gerade in der Gegenüberstellung der beiden grundverschiedenen Musikstile liegt der Reiz des Konzerts, wobei sich die Französin zwischendurch einen Abstecher zu Ravel und zuletzt eine Ehrenrunde mit dem Bach-Arrangeur Siloti erlaubt.
Mühelos gelingt es ihr, den Spannungsbogen über den ganzen Abend hinweg zu halten. Energisch greift sie in die Tasten, wenn es das Stück verlangt, um gleich darauf mit leisen, gefühlvollen Klängen ihr Publikum in eine Art Trance zu versetzen. Wer das Glück hat, in den ersten Reihen zu sitzen, kann beobachten, wie sie selbst völlig in der Musik versinkt.
2006 gewann Hélène Tysman den VIII. internationalen Chopin-Klavierwettbewerb in Darmstadt, vier Jahre später erreichte sie das Finale beim Chopin-Wettbewerb in Warschau. Seitdem gehört sie zur pianistischen Elite. Zu Kopf gestiegen ist ihr der Erfolg nicht, Starallüren sind ihr fremd. In einer Mischung aus Dankbarkeit und Demut nimmt sie die Blumen am Ende ihres Vortrags entgegen, die Hand auf dem Herzen verneigt sie sich – nach mehreren Zugaben – vor ihrem begeistert applaudierenden Publikum. Auch später beim geselligen Ausklang im Restaurant „Olympia“ bleibt sie ganz natürlich, erfüllt Autogrammwünsche, schäkert mit der Bedienung, plaudert mit den Konzertbesuchern und wirkt so frisch, als hätte sie das Rezital noch vor sich.
Dieser Konzertabend, der im vergangenen Jahr das Jubiläumsprogramm der Chopin-Gesellschaft abrunden sollte, aber wegen der Corona-Beschränkungen mehrfach verschoben werden musste, war zweifellos eines der Highlights dieses Veranstaltungsjahres. Und Hélène Tysman möchte man nur zu gerne sehr bald wiedersehen. (ce)
Bühne frei für den Nachwuchs
Klavierabend mit Anna Karácsonyi und Tomás Nessi am 10. Oktober 2021 im Literaturhaus
Im Rahmen der Nachwuchsförderung wurde den beiden jungen Pianisten Anna Karácsonyi und Tomás Nessi an diesem Sonntagabend Gelegenheit zum öffentlichen Auftritt gegeben. Beide Künstler waren schon früher bei der Chopin-Gesellschaft zu Gast und wurden von den Mitgliedern freundschaftlich begrüßt. Die 19-jährige Anna hatte ihre ungarisch stämmigen Eltern mitgebracht, beide Musiker und erste Lehrmeister der Tochter, die mit fünf Jahren das Klavier für sich entdeckte. Tomás Nessi, gut zehn Jahre älter, durfte sich über den Beifall seiner argentinischen Landsmännin Carmen Piazzini freuen, die sein Spiel als Zuhörerin verfolgte.
Musikalisch wurde der Abend zum Rendezvous mit den bekannten Komponisten der Romantik. Chopin war gut vertreten, beide Musiker huldigten ihm, Anna mit dem Nocturne c-Moll und der Ballade g-Moll, Tomás mit der Sonate h-Moll. Begleitet wurde Chopin von Claude Debussy („Estampes“), Franz Liszt („Spanische Rhapsodie“) und Maurice Ravel („Auszüge aus dem Zyklus Miroirs“).
Die Herzen des Publikums waren dem Nachwuchs zugewandt, und in den Beifall mischten sich die besten Wünsche für eine erfolgreiche Zukunft.
Lernen in der Championsleague
XXVI. Internationaler Meisterkurs unter der Leitung von Charles Richard-Hamelin vom 22. bis 25. September 2021 und Eröffnungskonzert am 21. September in der Orangerie
Der XXVI. Internationale Meisterkurs der Chopin-Gesellschaft wurde in diesem Jahr von dem Kanadier Charles Richard-Hamelin abgehalten, der sich 2015, als er beim Warschauer Chopin-Wettbewerb den 2. Preis gewann und mit seiner Interpretation der h-Moll-Sonate op. 58 für eine Sensation sorgte, schlagartig als eine feste Größe in der internationalen pianistischen Welt etablierte.
Schon sein Klavierrezital in der Orangerie am 21. September, das zugleich auch als Eröffnungskonzert zum Meisterkurs fungierte, war eine pianistische Sternstunde. Es gab ein reines Chopin-Programm, das in seiner zweiten Hälfte mit den 24 Préludes op. 28 seinen fulminanten Höhepunkt fand.
Nicht minder begeisternd waren für diejenigen, die zum Zuhören kamen, die vier nachfolgenden Tage, in denen der 32-jährige Künstler nicht nur als Pianist, sondern bei der Unterweisung von zehn ausgewählten Studierenden auch als Lehrer zutiefst beeindruckte. Das weit gefächerte Repertoire reichte von Mozart bis Poulenc und schloss auch einige kammermusikalische Werke mit ein.
Charles Richard-Hamelin erwies sich als konzentrierter Zuhörer, der seinen Schülern von der übergeordneten Idee eines jeden Werks bis hin zu kleinsten Einzelheiten in Technik, Phrasierung, Dynamik und Pedalgebrauch alles vermitteln konnte, was in jedem individuellen Fall nötig schien. Bei den programmatischen Werken der Romantik – z. B. den Funerailles von Franz Liszt oder der Humoreske von Robert Schumann – regte er zum Nachdenken über die Titel und deren scheinbare Widersprüche zu gewissen musikalischen Passagen an, die mit dem Thema des Werkes nicht in Einklang zu stehen scheinen.
Sobald er mit der musikalischen Detailarbeit begann, setzte er sich selbst oft und gern an den Flügel und zeigte, indem er zum Teil längere Passagen – oft auch prima vista – vorspielte, worauf es ihm ankam. Seinen Eleven veranschaulichte er mithilfe detaillierter Erklärungen und Übungen nicht nur das Ziel, sondern zeigte auch den Weg dorthin auf. Des Öfteren griff er dabei auf ähnliche oder diametral entgegengesetzte Passagen von Werken desselben oder anderer Komponisten zurück, die er zur Verdeutlichung des Problems heranzog und einstreute.
Die einzelnen Unterrichtsstunden waren konzentrierte Par-force-Ritte mit unüberhörbaren musikalischen Quantensprüngen, für die Schüler wie die Zuhörer gleichzeitig fordernd und ungeheuer erhellend. (tn)
Dem Meister auf die Finger schauten in diesem Jahr die Solisten Leon Xu, Seulgi Lee, Mariana Röhmer-Litzmann, Annabelle Kühnbaum, Tomás Nessi und Quyen Tran le Bao, während die Formationen Jiyoung Hwang (Klavier) & Eujin Hwang (Cello) und Dayeong Heo (Klavier) & Jihyun Kim (Violine) kammermusikalische Akzente setzten. Was sie während des Kurses gelernt haben, konnten die jungen Musiker beim Abschlusskonzert im Literaturhaus unter Beweis stellen. Musikalisch überzeugte der Abend nicht zuletzt durch seine Vielfalt. Neben Werken von Chopin standen Kompositionen von Brahms, Bartok, Poulenc, Debussy und César Franck auf dem Programm. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren von ihrem Lehrmeister und seinen Empfehlungen begeistert, und so ging der XXVI. Meisterkurs im Restaurant „Poseidon“ in bester Stimmung zu Ende. (ce)